Freitag, 18. Dezember 2015

Auslese #5: Warum hasst Ihr uns so - Für die sexuelle Revolution der Frauen in der islamischen Welt

Sieben Tage, sieben Bücher. Empfehlungen der Salonistas zum Jahresende:
als Geschenk in letzter Minute oder für die Auszeit auf dem Sofa.


Das Kopftuch schützt nicht - eine feministische Abrechnung mit islamischer Kultur und Religion           Foto: C. Olderdissen


Die amerikanische Newsweek hat sie 2012 zu einer der „furchtlosesten Frauen der Welt“ gekürt. Der Guardian hat ihr Buch auf die Liste der acht weltweit wichtigsten feministischen Büchern gesetzt. Mona Eltahawy wollte ein provokatives Manifest schreiben. Doch es ist zuvorderst eine Klageschrift über den alltäglichen Frauenhass in Nordafrika und im Nahen Osten geworden. Seite um Seite füllt die Journalistin mit Berichten der systematischen Unterdrückung von Frauen in Ägypten, Saudi Arabien, Tunesien, Marokko, Libyen und im Libanon. Der Körper der Frau ist der Kriegsschauplatz. Die Waffe ist die sexualisierte Gewalt. Das Ziel ist der Machterhalt der Männer.

Mona Eltahawy, in Ägypten geboren, in Saudi Arabien und London aufgewachsen, lebt in New York und schreibt für The Washington Post, The Guardian, The New York Times, BBC und Al-Jazeera. Als der arabische Frühling beginnt, geht die vielfach preisgekrönte Autorin 2011 zurück nach Kairo, sie will beim revolutionären Aufbruch dabei sein. Es ist auch der Aufbruch der Frauen. Doch der wird brutal mit sexueller Gewalt niedergeschlagen, direkt auf dem Tahrir Platz werden Demonstrantinnen vergewaltigt. Mona Eltahawy wird selbst zur Überlebenden eines gewalttätigen Überfalls, sie vermeidet das Wort „Opfer“. In einer Seitengasse nötigt sie ein Polizeitrupp sexuell und bricht ihr beide Arme. Nicht aber die Seele.

Die Wut über das Erlebte und über all das, was arabischen Frauen von arabischen Männern angetan wird, macht sie zur Kämpferin. Sie nutzt die Kraft des geschriebenen Wortes: Von Kopftuchzwang über Genitalverstümmelung, Zwangsheirat und Vergewaltigung in der Ehe, bis hin zum erzwungenen Jungfräulichkeitstest durch den Polizeiarzt, für all diese Entsetzlichkeiten benennt sie Zeuginnen, Frauen, die ihr das erzählt haben. Die Systematik der Gewalt ist unerträglich. Dabei liefert Mona Eltahawy keine politische Analyse, sie  schreibt wie eine Journalistin eben schreibt. Eine atemlose Aneinanderreihung aller Grausamkeiten, die Frauen durchleiden.

Das Kopftuch - ein Instrument der Unterdrückung


So wie der immerwährende Zwang sich züchtig zu geben, um die Ehre der Familie nicht zu beschmutzen. Doch das Kopftuch schützt die Frauen nicht. Egal wie sehr sie sich verschleiern, immer sind Frauen und Mädchen sexuellen Angriffen ausgesetzt. Mona Eltahawy zeichnet ein Bild vom täglichen Spießrutenlauf durch Horden von grapschenden, respektlosen Männern, zuallererst in Ägypten. Keiner hält sie davon ab. Keiner verurteilt das Verhalten der Männer. Es gibt keinerlei Unrechtsbewusstsein. Allein die Frau ist schuld.

Mona Eltahawy hat mit 25 Jahren das Kopftuch abgelegt, lange Zeit hat sie schamvoll verschwiegen, dass auch sie den Hidschab getragen hat. Dass sie sich einer Konvention gebeugt hat, der erst seit den 1970iger und 80iger Jahren mehr und mehr ägyptische Frauen folgen. Der gesellschaftliche Druck nimmt immer mehr zu: Unverschleierte Frauen werden auf der Straße übel beschimpft. Sie hält dagegen und trägt das Haar nicht nur offen, sie hat es zyklamrot gefärbt. Jeder soll Mona Eltahawy sehen. So läuft die heute 47jährige durch ihre neue Wahlheimat Kairo. So kommt sie im September 2015 nach Berlin und mischt beim 15. Internationalen Literaturfestival die überwiegend weiblichen Zuhörerinnen im vollbesetzten Saal auf. Die Journalistin zeigt sich als agitatorisch äußerst begabte Aktivistin.

Gesetze zum Schutz der Frau scheitern 


In der arabischen Welt regt sich der Widerstand der Frauen. Mona Eltahawy berichtet über etliche Frauenorganisationen, über Philosophinnen und Juristinnen, über die Demonstrantinnen vom Tahrirplatz, deren Protest weitergeht. Doch das Patriarchat wehrt sich: Alle Versuche Gesetze zum Schutz der Frau zu schaffen, enden kläglich. Strafgesetze laufen ins Leere, weil sie nicht in das Rechtssystem passen, erst recht nicht zu einem erstarkenden, konservativen Islam, der das Recht zu Lasten der Frauen auslegt. Bitter ist ihre Erkenntnis: Männlichen Mitstreitern jeder Reformbewegung fehlt die Selbstreflektion. Sobald sie die Haustür hinter sich schließen, sind sie dieselben Machos wie ihre Väter und Großväter. Dieselben Despoten wie die Männer auf der politischen Bühne.

Doch genau hier beginnt der Kampf. Zuhause. Das Private ist politisch. Mona Eltahawy hat sich von allen Zwängen befreit: „Jede Frau hat ein Recht auf Begehren, auf sexual pleasure.“ Die sexuelle Revolution, sie beginnt im Bett, aber sie geht weit darüber hinaus. „Es ist Zeit für eine Abrechnung mit unserer Kultur und Religion“, schreibt sie in ihrem Schlusswort. „Diese Abrechnung ist im Wesentlichen eine feministische. Die Wut der Frauen, ihre Beharrlichkeit und ihr Wagemut wird unsere Länder befreien.“



Mona Eltahawy: „Warum hasst ihr uns so? Für die sexuelle Revolution der Frauen in der islamischen Welt“, Piper Verlag, 2015, 16,99 Euro.
www.monaeltahawy.com

Morgen rezensiert Angelika Knop: Jina Khayyer - "Älter als Jesus oder mein Leben als Frau: Memoir"

7 Tage, 7 Bücher:

#1: Christine Olderdissen über „Hack’s selbst – Digitales Do it yourself für Mädchen“
#2: Tina Stadlmayer über "Spuren - Eine Reise durch Australien"
#3: Luise Loges über "Berge, Bön und Buttertee - Reise ins Tibet der Frauen"
#4: Magdalena Köster über "Und das ist erst der Anfang - Deutschland und die Flüchtlinge"

Im Watch-Salon steht noch mehr zu Mona Eltahawy.


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