Mittwoch, 16. September 2015

Für eine sexuelle Revolution der arabischen Welt: Mona Eltahawy beim Literaturfestival Berlin

Streitbare Feministinnen auf dem Podium                Alle Fotos: C. Olderdissen
„Fuck off my Vagina“ – mit krassen Worten bringt die Ägypterin Mona Eltahawy die weltweiten Mechanismen der Unterdrückung von Frauen auf den Punkt. Beim 15. Internationalen Literaturfestival Berlin begeisterte die Buchautorin zusammen mit der britischen Aktivistin Laurie Penny das überwiegend weibliche Publikum für die Idee des globalen Feminismus. Eine von fünf Veranstaltungen „zur Lage des Feminismus“, die das Bücherfest ins Programm gehievt hat.

Ein roter Lockenkopf. Keine Frage, diese Frau will gesehen werden. Mona Eltahawy sitzt auf dem Podium beim Internationalen Literaturfestival und überstrahlt alles. Ihre klare, feste Stimme formuliert feministische Parolen, jede mit einem Ausrufezeichen. Jede hat ihre Wahrheit. Der vollbesetzte Saal hängt an ihrer Stimme. Sie ist lauter und kräftiger als die bekannt radikal formulierende Laurie Penny, die Mitdiskutantin an ihrer Seite. Die allerdings bleibt an diesem Abend erstaunlich blass, wie auch die Filmemacherin Josephine Decker, dritte im Bunde.


Mona Eltahawy verkündet, es geht noch mehr und es muss auch noch mehr. „Ich fordere eine sexuelle Revolution der arabischen Welt“, sagt Mona Eltahawy, „jede Frau hat ein Recht auf Begehren, auf sexual pleasure.“ Was so banal klingt, wird in seiner Radikalität verständlich wenn sie hinzusetzt: nahezu 90 Prozent aller Mädchen und Frauen in Ägypten sind beschnitten. Aber das ist nur der Anfang einer umfassenden Unterdrückung der Frau. Ihr berühmtester Satz, den sie immer wieder gerne wiederholt: „Jede Religion versucht meine Vagina zu kontrollieren. Fuck off my vagina.“


Rot ist die Farbe des Stolzes 

 

Mona Eltahawy bei der Autogrammstunde
Wow, diese Mona, was für ein Wirbelsturm. Als sie die Bühne betreten hat, sortiere ich für einen Moment meine Bilder und Gedanken: Auch so geht Muslima. Mit ihrem roten Wuschelkopf läuft sie durch Kairo, sie provoziert, sie polarisiert, sie begeistert. Kurz vor der Reise nach Berlin war sie noch zum Auffrischen der Farbe beim Friseur, erzählt sie mir nach der Podiumsdiskussion. Die Frau auf dem Friseurstuhl neben ihr beschloss: „Das will ich auch haben“ und ließ die Spitzen ihrer Haare mit derselben Farbe färben. Auf dem Weg nach Hause hat sie sich vielleicht doch lieber das Kopftuch übergezogen. 

Mona Eltahawy würde das nie tun. Nicht einmal an Tagen, wo sie keine Kraft hat. Neun Jahre lang trug sie ihr Kopftuch, vom 16. bis zum 24. Lebensjahr. Es war ein harter Kampf, es abzulegen. Ein Kampf mit sich selber und ein Kampf mit allen um sie herum. Nie wieder Kopftuch, sagt sie. Aber sie sagt auch: Hallo westliche Welt, lasst uns Muslimas selbst entscheiden, ob wir es anlegen oder ablegen. Wir klären das in unserer Kultur. Und so diskutiert sie weiterhin mit ihrer Mutter, ihren Schwestern, alles Kopftuchträgerinnen. 

Die Autorinnen Mona Eltahawy und Laurie Penny

 

Mona Eltahawy, 48, preisgekrönte Journalistin, u.a. Kommentatorin der New York Times, ist in Ägypten geboren, in London und Saudi Arabien großgeworden. 2000 zog sie in die USA. Seit 2013 ist sie zurück in Kairo, um nach dem arabischen Frühling den gesellschaftlichen Wandel mitzugestalten. 2011 überstand sie einen brutalen Überfall ägyptischer Polizisten in einer Seitengasse des Tahrirplatzes, die sie sexuell nötigten und ihr gezielt den Arm und die Hand brachen. Zum Zeichen ihres Überlebens hat sie ihre Unterarme tätowiert und die Haare gefärbt

Eltahawys und Pennys Werke auf dem Büchertisch

Von der Moderatorin und indischstämmigen Buchautorin Priya Basil nach bedeutsamen Ideengeberinnen befragt, bekennt sie sich zu den großen US-amerikanischen Feministinnen, allen voran „women of colour“ wie Audre Lorde und bell hooks. Deren schmales Buch „Feminism is for everybody“ legt sie dem Publikum ans Herz.
 
Eltahawys eigene Bücher "Headscarves and Hymen" und das bei Piper in der deutschen Übersetzung erschienene „Warum hasst Ihr uns so?“ sind  bisher wenig bekannt. Aber das lässt sich ja nachholen. 

Laurie Penny, mit 29 Jahren die jüngere, verdankt ihre Radikalisierung dem Internet – und einem Buch von Germaine Greer, das sie im Bücherschrank ihrer Mutter fand. Die britische Autorin und Aktivistin hat bereits fünf Bücher geschrieben. In ihrem jüngsten Werk „Unsagbare Dinge – Sex, Lügen und Revolution“ (Nautilus Flugschrift) rechnet sie mit dem modernen Feminismus ab. 

Globaler Feminismus

 

Laurie Penny als Gendertheoretikerin geht es weniger um die Gleichstellung weißer privilegierter Frauen, die darum rangeln, Kind und Karriere unter einen Hut zu kriegen. Sie sagt, dass deren Realität eher einer „work, work, life balance“ ähnele. Ihre Forderung: Feminismus und Sozialismus zusammen denken. Mona Elhatawy hält dagegen: Für Frauen im arabischen Raum sind Ehe und Kinderkriegen eine Frage des Überlebens. Die Unterdrückung der arabischen Frau passiert durch den Staat, durch jeden Mann auf der Straße und durch den Ehemann zu Hause. Aber bevor wir westeuropäischen Frauen im Mitleid versinken, fragt sie das Publikum: Habt Ihr Equal Pay durchgesetzt? Habt Ihr sexuelle und häusliche Gewalt verbannt? Habt Ihr gleiche Teilhabe an der Macht erreicht? „No, No, No“ schallt es aus dem Saal zurück. „We need a global human revolution“, erwidert Mona Eltahawy. „Let´s do it now. I am sick auf waiting.“

Zur Lage des Feminismus beim Literaturfestival

 

Fünfmal diskutiert das Literaturfestival über „Zustand und Zukunft feministischer Emanzipation“. Das ist schon  lobenswert. Bei näherem Hinsehen aber sitzen an drei Abenden Penny und/oder Eltahawy auf dem Podium. Am letzten dann spricht Queertheoretiker J. Jack Halberstam über die wilden Wege der Punk-Feminismen

An diesem Abend bei Penny/Eltahawy/Decker im Haus der Berliner Festspiele ist das Publikum überwiegend weiblich und jung, sehr jung. Darunter ein Häuflein älterer Feministinnen. Manchmal rollen wir die Augen, weil es nervt, dass alles immer wieder neu gesagt werden muss. Aber immerhin: manches klingt einen Tick anders, manches ist tatsächlich weiter gedacht. Wirklich aufregend aber ist erleben zu dürfen, dass sich mit Frauen wie Mona Eltahawy eine globale Bewegung formiert, die hoffentlich so viel weitreichender sein wird. Als wir uns nach 90 intensiven Minuten vor dem Eingang wieder treffen, sind wir froh und stolz, dass die feministische Idee weitergetragen wird, dass sich so viele junge Frauen begeistern lassen von den fundamental richtigen Analysen und radikalen Postulaten an diesem Abend. Das Podium war sich schließlich einig: „Der Post-Feminismus ist tot. Es lebe der Feminismus!“

Weiterlesen:
  • Viele weitere Texte über die Auseinandersetzung von Frauen und Islam bei  http://de.qantara.de/dossier/gender, ein Projekt der Deutschen Welle zum Dialog mit der islamischen Welt.

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